Der folgende Artikel wurde auf
baumschutz.wordpress.com veröffentlicht.
Er beschäftigt sich mit dem Bauprojekt auf dem Gelände der ehemaligen Gerhard-Hauptmann-Oberschule in der Ohlauer Str.
Der Artikel ist für alle lesenswert, die etwas über die Art und Weise erfahren wollen, wie der Bezirk Kreuzberg sich Bürgerbeteiligung, Milieu- und Baumschutz vorstellt.
Er gibt Hinweise auf Alternativen und begründet diese.
Wir haben den Text gekürzt und die Passagen, die uns stark an das Verfahren in der Blücherstraße erinnern hervorgehoben.
Der gesamten Text kann unter dem obigen Link gelesen werden.
Xhainer Beteiligung beginnt immer bei Null
Ein
altbekanntes Skript
… Neu auf
dieser ersten Informationsveranstaltung zum Campus Ohlauer Straße
vergangenen Donnerstag (19.05.) aber war, was nur allzu vertraut ist und
anscheinend irrtümlich überwunden geglaubt: dass sich nämlich eine Vertreterin
des Bezirksamts, in diesem Fall die Stadträtin für Finanzen, Facility
Management, Kultur und Weiterbildung, Jana Borkamp, hinstellen und mit
Inbrunst behaupten kann: „Bürgerbeteiligung bedeutet nicht, dass man auf der
grünen Wiese neu plant, sondern an bestehenden Plänen Modifikationen vornimmt.“
Sie wolle da gar nicht erst falsche Vorstellungen auf kommen lassen.
Rolle
rückwärts kann auch der Bezirk!
Zu einer
derartigen Einlassung braucht’s schon Chuzpe; solche Arroganz und Ignoranz,
noch dazu vor dem Hintergrund dieser mit am schlechtesten vorbereiteten und
moderierten Bürgerveranstaltung, die wir in den letzten Jahren erleben durften,
ist schon bemerkenswert. Der Leiter der Abt. Neubau bei der städtischen
Wohnungsbaugesellschaft HOWOGE, Stefan Schautes, vermochte, eben weil das
Projekt ortsunabhängig geplant worden ist, nicht einmal die Grundflächenzahl (GRZ) zu benennen, also das Maß
der Versiegelung, Überbauung und Ausnutzung des Grundstücks. Hier geht es
jedoch um ein wichtiges, seit je stiefmütterlich behandeltes Schutzgut, den
Boden, den wir in einem nur wenig reduzierten bzw. heuer wieder zunehmendem
Tempo versiegeln.
Partizipations-Azubis?
Frau
Borkamp, die ihr Amt wohl noch nicht lange versieht, kennt offenbar, so legt
ihre oben zitierte Äußerung zumindest nahe, wenn überhaupt, dann allenfalls das
Cover des Handbuchs
zur Partizipation von 2011, das die
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung im Folgejahr sogar zum zweiten Mal
auflegen ließ: anders ist ihre zur Schau gestellte Ahnungslosigkeit
hinsichtlich der Grundprinzipien gelingender Beteiligungsverfahren, nämlich
neben ihrer Früh- und Rechtzeitigkeit ihre Ergebnisoffenheit, nur schwer zu
erklären.
Damit wir
nicht missverstanden werden: Natürlich kann es hier nicht mehr um das Ob eines
Geflüchtetenzentrums und des Baus erschwinglicher Unterkünfte für
Kaufkraft-Schwache und besonders gefährdete gesellschaftliche Gruppen gehen,
aber wir müssen im hoch verdichteten Innenstadtgebiet aus dem Bestand heraus
entwickeln, müssen das Wachstum der Stadt behutsam
gestalten, das Vorhandene, noch dazu, wenn es sich um ökologisch
wertvollste Nützlinge wie Altbäume handelt, …
Beginn beim
Urschleim
Das wäre ein
arger Rückfall hinter die Errungenschaften der viel gerühmten Berliner
Bauausstellung in den späten Achtzigern des letzten Jahrhunderts, woran sich
aber unser Baustadtrat bestimmt noch erinnert.
Ausgerechnet
im einzig grün regierten Bezirk Berlins sind derlei Rückfälle in letzter Zeit
gehäuft zu beobachten, verkommt die allenthalben wie eine Monstranz vorneweg
getragene Forderung einer Stärkung der Beteiligungskultur zum bloßen Symbol
grün-liberaler Denke, während im politischen Alltag der Realpolitik genau in
Gegenrichtung agiert wird und die Bürger*innen immer wieder vor vollendeten
Tatsachen stehen.
…
In jeder
Beziehung schlechte Kommunikation
Relativ
viele Interessierte hatten an diesem lauen Maienabend in die Rosa-Parks-Schule
in der Reichenberger und sogar die dreieinhalb Stockwerke hinauf gefunden,
obwohl die Information wie immer als
viel zu dürftig, die Kommunikationspolitik als schlecht bemängelt wurde Intransparenz
aus Dilettantismus
Die Damen
auf dem Podium, obwohl sie wieder und wieder alles „mitzunehmen“ versprachen,
ließen sich nur selten beim Schreiben beobachten; die wenig professionell
agierende Moderatorin hielt es nicht einmal für nötig, eine Rednerliste zu
führen, so dass sich manche Leute eine halbe Stunde so brav wie umsonst
meldeten. − Die Akustik war grausig, es gab kein Saalmikrofon, was doch
Redner*innenliste (Anstellen) und akustische Verstehbarkeit simultan zu lösen
erlaubt hätte; es gab keine Flipcharts, nicht mal eine olle Schiefertafel,
obwohl wir uns doch in einer Schule befanden. …
Stefan
Schautes zeigte eine abgespeckte Version seiner Präsentation aus der BVV, und das war’s. Keine Fotos des Ist-Zustands, keine
des kleinen Gehölzes, das den Anwohner*innen abgesehen von den physiologischen
und ästhetischen Funktionen ein Stück Identifizierung mit ihrer Straße
ermöglicht und zahlreichen Vögeln und Kleintieren zwischen dem Beton
Rückzugsraum, Niststätte und Nahrungsquelle bedeutet. Es ist eine
Ungeheuerlichkeit, wie jeweils, wenn jahrzehntealte Bäume in zehn Minuten
umgehauen werden, auf andere verwiesen wird, an denen man sich doch ergötzen
und laben könne, als seien Menschen mit Restnaturbezug sentimental und krank.
Anwohner*innen
müssen Ganzheitlichkeit einfordern
Es hatte zu
Anfang geheißen, man wolle das Neubauprojekt namens Campus Ohlauer Straße
vorstellen und Anregungen, Lob und Kritik „mitnehmen“, doch das sei den
Anwesenden ja zu wenig gewesen, deshalb sei das Herumspringen zwischen
inhaltlicher und Verfahrensebene und von diesem zu jenem Thema quasi
unvermeidlich, dürfe sich doch niemand in seiner Wortmeldung übergangen und
missachtet fühlen.
Das
Auditorium hatte indessen kritisiert, dass unter dem Label Campus nur
über das Neubauprojekt, nicht aber auch über die Gerhart-Hauptmann-Schule (GHS)
gesprochen, also abstrahiert, differenziert und seziert werden solle frei nach
dem Motto divide et impera. − Für den weiteren Fortgang hätte es
natürlich einer Tagesordnung oder Entwicklung einer Agenda bedurft, um die Diskussion
und vor allem das weitere Verfahren zu strukturieren, doch blieb unklar, ob die
verschiedenen Anregungen, Wünsche und Kritikpunkte denn überhaupt aufgenommen
worden waren. Immerhin wurde auf Nachfrage zugesagt, ein Ergebnisprotokoll
online zu stellen.
Campus steht eben nicht für
Ganzheitlichkeit
Was aber in
jedem Bereich und zumal im stadtplanerischen nottut, ist die berühmte Ganzheitlichkeit in der Erfassung der
komplexen Konstellation und im Herangehen an ein derartiges
multifunktionales Projekt. Das Wort Campus (lat. Feld) lässt
natürlich die Einbeziehung des Gesamtensembles mit Neubau, GHS, Turnhalle,
Grünbestand, Zuwegung, den ökologischen Randbedingung (Emissionen, Mikroklima,
Gesundheit, Boden und Stadtnatur) und den baurechtlichen, planerischen,
beteiligungstechnischen Rahmenbedingungen vermuten. Planung und Bauen im
hochverdichteten innerstädtischen Siedlungsbereich sind komplex, und auf all
diesen möglichst transparent zu differenzierenden Ebenen muss es, insbesondere
was die Abwägung der verschiedenen Belange betrifft, eine Einbeziehung, wenn
nicht Beteiligung der Betroffenen geben! Nicht wenige halten das sogar schon
für einen Allgemeinplatz.
Ob denn
keine Notwendigkeit gesehen werde, die Qualität
des Ist-Zustands, der Lärm- und Feinstaubbelastung realitätsnah (und nicht in
der verkehrarmen Nansenstraße) zu messen, um dann etwa Prognosen darüber
anzustellen, ob und in welchem Maß sich die Belastungen erhöhen (schon
jetzt würden in der Ohlauer Straße in der Hauptverkehrszeit 65 dB erreicht),
gerade dann, wenn noch zu allem Überfluss die Altbäume verschwänden, deren
ökologische Dienstleistungen und Beitrag zur allgemeinen Gesundheit und
Lebensqualität offenbar zu sublim sind, um im durchschnittlichen
Verwaltungsdenken und -handeln in ihrer kaum überschätzbar produktiven Funktion
berücksichtigt werden zu können. − Er könne nicht zugleich kostengünstig und
baumerhaltend bauen, klagte Schautes und offenbarte mit solch einer Bemerkung
das ganze Dilemma zwischen kurzfristigen ökonomischen Erwägungen und dem
mittelfristig zu erhaltenden ökologischen Wert des „Produkts“ etwa im Hinblick
auf die Klimafolgen-Adaption, Kühlung, Befeuchtung, Feinstaubabsorbtion und
nicht zuletzt für den Artenschutz, ein Aspekt, den wir ebenso wie den
Selbstzweck und Wert an sich überhaupt nicht aufzurufen wagten angesichts
dieser Ballung harter ökonomischer Notwendigkeiten unserer Versammlung von Ephemeroptera.
Ein Altbaum
produziere täglich zwei Liter Sauerstoff, führte eine Anwohnerin aus und fragte
zur allgemeinen Heiterkeit: “Und was produzieren Sie?“
Obendrein
handelt es sich über die Fällungen hinaus um einen erheblichen Eingriff ins
Stadtbild, denn der Baukörper füge sich eben nicht in die übrige Bebauung ein,
wie es die Bauordnung vorschreibe, so dass auch an dieser Stelle das gesetzlich
Vorgeschriebene weit überschritten werde. Die
genaue Bezifferung der Überschreitung der Vorgaben der BauOBln wird hoffentlich
noch nachgereicht.
Diese Überschreitungen von Art und
Maß der baulichen Nutzung müssen städtebaulich begründet und ihre Vor- und
Nachteile transparent und nachvollziehbar gegeneinander abgewogen werden, d.h
eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung ist hier geboten, was auch aus VwVfG §25 (3) erhellt.
Bürger*inner
erinnerten und Frau Borkamp bestätigte, dass Kreuzberg in allen wesentlichen
Elementen kommunaler Infrastruktur der
am ärgsten unterversorgte Bezirk Berlins sei, gehe es nun um Grün-, Spiel-
oder Sportflächen, KiTas oder Schulen. Es handele sich um den Bezirk mit der
höchsten Arbeitslosen- und Armutsquote und der relativ niedrigsten
Lebenserwartung.
Doch was ist
die Antwort darauf? Der Bezirk wünschte möglichst viele, möglichst preiswerte
Wohnungen mit Transparenz im Erdgeschoss, der Erschließung der GHS auch von
dieser Seite, der Turnhalle, des Innenhofs und der Berücksichtigung von
Feuerwehrzufahrten etc. Dies sei miteinander in Einklang zu bringen. Aber: „Wir
können nicht das Haus verteuern, weil wir im Erdgeschoss nur noch Stützen oder
den ein oder anderen Baum gerettet haben,“ meinte der Planer. Die Inwertsetzung
der ökologischen Serviceleistungen (TEEB) scheint unter diesem
Aspekt eben doch ein wichtiger Ansatz, sonst ist kostengünstiges Bauen eben mit
Baumerhalt niemals vereinbar. So aber wird die Wertigkeit des Bestands für
nichts geachtet − ohne dass auf der anderen Seite sozialverträgliche Mietpreise
beim Neubau herauskämen!
Planungsentwurf
nur erster Vorschlag
Dennoch war
es erfrischend, wenigstens von Stefan Schautes zu hören, dass diese Planung nur
ein erster Vorschlag sei und prinzipiell noch grundsätzlichen Änderungen
zugänglich und eben nicht nur marginalen Modifikationen. Und optimalerweise
gibt es ja auch eine Alternativplanung [siehe auch den Bericht der Berliner Woche vom 18.
April und in der Berliner Zeitung vom 20. Mai],
die es übrigens in jedem Beteiligungsverfahren und bei jedem Vorhaben geben
sollte, doch jene konkrete Planungsalternative tat Schautes mit dem Hinweis ab,
um die Zielvorgaben einzuhalten, müsse Joost höher bauen und noch einen
solitären Turm errichten. Da war es schon sehr schade, dass der Autor des
Gegenentwurfs, der v.a. die Bäume erhielte, was nach u.E. unbedingt angemessen
in der Abwägung zu berücksichtigen ist, kurzerhand davon absah, der
Veranstaltung beizuwohnen, um seinen Entwurf zu erläutern und zu verteidigen.
Dennoch kann bereits diese Skizze zeigen, dass
es auch hier keine Alternativlosigkeit gibt und die Suche nach die Gegebenheiten
aufnehmende und integrierenden Lösungen noch längst nicht abgeschlossen ist.
Im aktuellen Fall fühlen sich die engagierten Bürger*innen allerdings und mit
Recht alleingelassen und auch bisschen verraten. Kann gut sein, dass
Fraktionsdisziplin das Fernbleiben des Bürgerdeputierten erzwungen hat, aber
das zeigt nur erneut, dass sich auch die Piraten im Nu von ihren ureigensten
Themen entfremdeten.
…
Stefan
Schautes zufolge, der offenbar schon in anderen Beteiligungsverfahren
Erfahrungen gesammelt hat, müsse sich nun mit dem Bezirk auf ein Format verständigt werden, wie die
Anregungen, Bedürfnisse und Wünsche der Anwohner*innen aufgenommen werden
könnten, aber − so vergaß der Architekt nicht zu erwähnen − sie müssten so
abgeglichen werden, dass die gewünschte Menge an Wohnungen, nämlich 140
Wohneinheiten im Neubau mit 35 für geflüchtete Menschen und zwölf für verfolgte
Frauen (welche Relation auch gleich bemängelt wurde), 56 für Studierende und zu
guter Letzt 37, das sind 35 %, Sozialwohnungen, zum Schluss auch erreicht
werde.
Was die
Anzahl der zu erwartenden Neukiezler*innen betrifft, schwankten die Angaben
zwischen drei- und fünfhundert. Habe der Planungswettbewerb unter extremem
Zeitdruck gestanden, so sei der nun glücklicherweise raus, warum, will sich uns
nicht so recht erschließen, es sei denn, den Verantwortlichen ist inzwischen
klar und sie sind darüber ganz cool geworden, dass mit 35 WE für Geflüchtete
nicht alle Turnhallen, in denen nach wie vor auch Schwangere zu vegetieren
gezwungen seien, geleert werden können. (In der GHS sollen übrigens insgesamt
109 Wohneinheiten für Geflüchtete zur Verfügung stehen.)
Impertinenter
Weise hieß es in Zusammenhang mit dem Vegetationsbestand: „ Wenn es einen
speziellen Baum gibt, an dem Ihr Herz hängt, werden wir sehen, was sich tun
lässt“, welche Sentimentalisierung aus dem Publikum gleich energisch gerügt
wurde. − Es besteht aber bei dieser Generation von Grünen-Politiker*innen ausgerechnet in dem historischen Moment, wo
unter der Knute des Marktradikalismus‘ der Trend offenbar weg von angeblich
weichen Themen und Schröderschem Gedöns hin zu den harten existentiellen
Fragen geht, ein wachsendes Desinteresse
an ihrem einstigen Markenkern: dem Erhalt und der Förderung lebendiger
Stadtnatur, einer gesunden Lebenswelt und zukunftstauglicher, Ressourcen
schonender Wirtschafts- und Lebensweise.
…
[Nachtrag: Angesichts widersprüchlicher
Angaben in der Presse möchten wir noch betonen, dass nicht nur vier, sondern
insgesamt 18 (achtzehn) Bäume gefällt werden sollen, darunter vier
mächtige Platanen. Aber es spricht eben auch nicht für die Qualität der
Präsentation, wenn nicht mal darüber klare Auskunft gegeben wurde.]
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